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Tinder Fails

What can happen to lonely and heartsick women in patriarchy

Mich zeitnah und unverbindlich wahlweise über meinen Herzschmerz oder meine Einsamkeit wegficken zu können – das bedeutet Tinder für mich. Zeitnah und unverbindlich hin oder her – ich weiß genau was ich will: Einen mindestens durchschnittlich normschönen Typen, der regelmäßig duscht und seine Zähne ordentlich putzt. Einer, der Ahnung von weiblicher Anatomie hat und insbesondere davon, dass Konsens im Bett eine verdammt wichtige Sache ist. Einen netten, korrekten Typen – also ungefähr ein Hundertstel aller Tindermänner. Beim Chatten mit den Allermeisten bekomme ich meist früher, selten später ein mulmiges Gefühl. Dann gehen in meinem Kopf Blaulicht und eine Roboterstimme an: „Ach-tung, Ach-tung! Po-ten-tial für Über-grif-fig-keit vor-han-den!“ Einer drängt auf ein schnelles Treffen, ein zweiter erzählt ungefragt von seiner Penislänge und schwafelt was von Durchhaltevermögen, ein dritter schickt ellenlange Sexfantasien als Begrüßungsnachricht, ein vierter ist einfach nur witzig. Ein fünfter fragt, ob der Unterschied zwischen Vulva und Vagina „in meinem Alltag wirklich so relevant“ sei (siehe mein Profiltext). Als ich gegenfrage, ob der Unterschied zwischen Eichel und Hoden (Jaja, nicht der beste Vergleich) in seinem Alltag wirklich so relevant sei, löscht er mich.
Und dann kommt endlich ein netter, cuter Dude, der mir ein sicheres Gefühl gibt – und der will sich mit dem Treffen unbedingt noch Zeit lassen! Der Typ hat schon hübsche Fotos und ein heißes nude pic von mir bekommen. Er weiß, dass ich auf unverbindlichen Sex aus bin. Und er will sich noch Zeit mit dem Treffen lassen! Ernsthaft? Cuter Tinderboy und ich führen stundenlange Telegram-Gespräche über mommy issues, Molekularbiologie, Feminismus, polnische Klischees, Herzschmerz und PMS. Es macht Spaß, aber seine Zögerlichkeit eines Treffens wegen deprimiert mich. Ich fühle mich zurückgewiesen und in meinem Aussehen nicht wertgeschätzt. Da kommt eine heiße Frau um die Ecke, cool drauf und bereit für schnellen Sex – und Er will nicht, denke ich mir. Aus Frust über den dude bestelle ich mir immer größere Dildos im Internet. (Irgendwann angekommen beim Satisfyer ‚Master’– laut Werbetext lässt „die beeindruckende XXL-Größe keine Wünsche offen“ fühle ich mich beim Ausprobieren, als würde ich gebären – das blieb die vorerst letzte EIS.de-Bestellung.) Zurück zum frustierenden Tinderboy. So zurückgewiesen zu werden, ganz ehrlich, das ist mir in meinem Leben nicht passiert. Niemals. Nicht falsch verstehen: Ich will keinem Mann der Welt vorwerfen, er würde Frauen ungenügend objektivieren – ich will aufzeigen, was das Patriarchat mit Frauen macht. Denn ich habe gelernt: Mein Körper ist mein Kapital, meine Waffe, mein Druckmittel. So wurde ich sozialisiert und so habe ich Dating ausnahmslos erlebt. Und da liegt das Problem: Anstatt mich zu freuen, ausnahmsweise nicht auf mein Äußeres reduziert zu werden, fühle ich mich abgelehnt.
Feministin sein, das ist ein sehr zentraler Teil meiner Identität. Ich bin angehende Soziologin, Antikapitalistin, Tochter, Freundin, Geliebte. Ich bin eine normschöne weiße Frau Mitte 20. Ich bin Studentin, Linksradikale, Europäerin, Kraftsportlerin, Mitbewohnerin. Aber ganz besonders bin ich Feministin. Und ich werde gerne objektiviert. Dabei fühle ich mich wertvoll und sicher, auf bekanntem Terrain. Mein Körper als Kapital kommt mir manchmal fast grenzenlos vor. Denn meine Attraktivität wurde nur selten angezweifelt, meine Intelligenz und meine Fähigkeiten dafür mein ganzes Leben.

To be continued.