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Mein Vater ist ein echt netter Patriarch

Mein Vater ist ein guter Mann. Er ist kein übler Patriarch im klassischen Sinne. Die meisten Väter meiner Freund*innen finde ich früher oder später in ihrem Verhalten und/oder ihren Aussagen ziemlich problematisch. Auch mein Vater ist Teil dieser Generation alter weißer Männer, die in dem Bewusstsein aufwuchsen, dass ihnen und nur ihnen die Welt gehört. Dafür hat er sich gut gemacht. Auch wenn er lernen musste, als richtiger Mann stark und verlässlich zu sein, hat er sich eine gewisse Zurückhaltung und Sanftheit bewahren können. An einem tollen väterlichen Vorbild hat das nicht gelegen, ich mache meine unlängst verstorbene Oma verantwortlich. Sie scheint die Erziehung ihrer vielen Kinder mit viel Liebe und Nachsicht gut (allein) gemeistert zu haben. Mein Vater hat sich zu einem zarten, nachdenklichen Mann entwickelt. Seine sanfte Art hat ihn in seinem Leben in mancher Hinsicht behindert. Fehlende emotionale Kälte und die nicht vorhandene Fähigkeit sich in den Mittelpunkt zu rücken haben ihn besonders beruflich wohl einige Chancen gekostet. Das schmerzt ihm manchmal, ich weiß das, auch wenn er das nicht sagt. Über seine Gefühle kann er natürlich nicht so gut reden. Wie so viele Männer tendiert er zu Zustandsbeschreibungen, wenn mensch ihn nach seinen Gefühlen fragt: Gerade passiere dies, gestern wäre er dort gewesen. Wenn er mal wirklich über sich spricht, war “ ‚man‘ ein wenig melancholisch beim Anschauen der alten Dias“. Aber gut. Seit ich mich so munter vor mich hin radikalisiere, führen wir noch intensivere, häufig stundenlange politische Diskussionen. Rätselhafterweise bewegt sich mein Vater auf seine alten Jahre aus der liberal-grünen Bürgerlichkeit in die linkspolitische Ecke. Ganz gemächlich und gemäßigt versteht sich. Er gibt mir jedenfalls immer seltener das Gefühl, ich müsste mit meinen radikalsten Einstellungen hinterm Berg halten. Feminismus ist ein großes Thema zwischen uns und er gibt sich Mühe, mich zu verstehen. Dafür gebe ich mir mindestens genauso viel Mühe, in altbekanntem carework style meine Kritik an seiner Männlichkeit (seinem Rassismus, seinen bürgerlichen Idealen…) so zu äußern, dass er nicht dichtmacht. Zum Glück ist niemand in meiner engeren Familie vollkommen kritikunfähig, aber bei meinem Vater muss ich schon pädagogisch klug arbeiten. Soweit, so gut. Nach weiterer anderthalbstündiger Diskussion über Sexismus-Issues in meiner frisch gescheiterten romantischen Beziehung schien er auf einmal das Ausmaß meines feministischen Bewusstseins zu begreifen (denkt er harharharhar). Er wurde still und nachdenklich und schien sich den Kopf zu zerbrechen. Ich konnte seinen Kummer und seine Sorgen quasi durchs Telefon greifen. Ich hatte ein wenig berichtet von dem, was mir an Übergriffigkeit in sexuellen und romantischen Kontexten passiert war, aber es war nicht ihr Ausmaß, was ihn so besonders erschreckte, sondern meine präzise und detaillierte Kritik daran. Als würde der Katalog an potenziell verfügbaren Männern für eine Partnerschaft mit seiner Tochter vor seinen Augen rasant schrumpfen. Der Gedanke schien ihm mehr Angst zu machen als mir (und das soll was heißen). Ich hätte gern innerlich schmunzelnd abgewunken, aber es machte mich sauer und traurig: Ja, es ging hier um meinen Vater – aber es ging hier um meinen Vater! Der mittlerweile so im Stil von „da musst du dann vielleicht gucken welche Kompromisse du bereit bist zu machen“ herumdruckste. Ich fing an auszuführen, warum es Wichtigeres im Leben einer Frau gäbe als den perfekten Partner zu finden (dass ich das ernsthaft diskutieren muss!) und warum ich an genau dieser Stelle genau gar keinen Kompromiss machen sollte, aber die Diskussion strengte mich an und schmerzte in meinem (nicht minder zarten) Herzen. Er ruderte ein wenig zurück, aber ich glaube, von nun an wird er sich Sorgen machen. Um mein Glück, denkt er. Darum, dass ich keinen Mann abkriege, denke ich.